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Mapping the world
Sich die Welt erschließen

Leseprobe

»Jeder Mensch kann heute eigene digitale Weltkarten erzeugen, seinen Wohnort aus Satellitenperspektive betrachten, das hat es noch nie gegeben«, konstatiert Philippe Rekacewicz emphatisch, der in dem von mir 2012 herausgegebenen Band Kartographisches Denken die wegweisenden Themenkarten von Le Monde diplomatique zum Zustand der Welt entwickelt hat. Doch gerade deswegen seien, so Rekacewicz, für ein sensibles Mapping Handzeichnungen und künstlerische Versionen wichtig, da erst Andeutungen und eingestandene Ungenauigkeit Verständnissphären jenseits der scheinbaren Objektivität noch so detailreicher Landkarten eröffnen können. Wegen der rapide wachsenden Datenmengen des Internets wurden Selbstorganisation sowie intelligente Such- und Verarbeitungsvorgänge enorm wichtig, andernfalls bliebe das genauso wirkungslos wie bei strikter Zensur. Auch die Atlas der Globalisierung-Bände mit Themenkarten zu ungelösten Konflikten, Frauenrechten, Todesstrafe, Rohstoffinteressen oder zum Klimawandel bieten nur Momentaufnahmen mit lediglich angedeuteter Präzision, obgleich die digitale Form eigentlich Verlässlichkeit demonstriert. Generell ist Skepsis angebracht weil sich in aller Regel auch in Landkarten verdeckte Interessen niederschlagen und diese normalerweise weder soziale Problemzonen noch Militärstützpunkte, Atomreaktoren, Ölquellen oder Seltene Erden verzeichnen. Erst wenn man solchen Verbergungs- und Harmonisierungstendenzen nachgeht, lassen sich aufklärende, auf die Geografie bezogene – stets provisorische – Weltbilder skizzieren.

 

aus Künstlerisches Arbeiten | kartografisches Denken" von Christian Reder