Nacktheit dein Name sei Jede Gesellschaft, jede Zeit entwickelt andere Beziehungen zu dem Thema der menschlichen Nacktheit. Diese kann völlig verboten, ja unterdrückt sein, sie kann hauptsächlich Frauen betreffen, sie kann als soziales Handeln wie bei den alten Griechen verstanden werden usw. usw. Heute ändern sich die Gewohnheiten sehr schnell. Moden bestimmen das Bild. Doch religiöse Vorschriften beeinträchtigen wieder zunehmend die Freiheit eines Körpers, der sich den Augen der anderen präsentiert (Chador, Kopftuch usw.). Kulturen treffen höchst streitbar aufeinander, wenn um das Thema der Nacktheit kämpferisch gerungen wird. Denn es geht nicht nur um die getragene Haut, es geht auch um Individualisierung und Kollektiv, persönliche Freiheit und Darstellungswille, um Offenheit und Prüderie, Ablehnung und Zustimmung. Es geht dem einen um die wahre Nacktheit, dem anderen um die nackte Wahrheit. Denn das Thema stellt sich ausgezogen wie angezogen, nackt wie bekleidet. Erotik und Voyeurismus spielen eine Rolle, wie auch Neugier, Einfachheit, Schönheit, Sexualität, Unschuld, Schutzlosigkeit, Erniedrigung, Armut, Pornographie, Reize, Psychologie, soziale Netzwerke und vieles mehr. Es sind die Akte, die die bildende Kunst gerne als eine voyeuristische ausweisen. Fast unschuldig schreibt Paul Gauguin (1848 – 1903) über die Frauen in Tahiti: „Am schönsten sind die Frauen so, wie sie Gott erschaffen hat – die Schneider können sie nur verderben.“ Er wusste wahrscheinlich nicht, dass es die Missionare waren, die den Frauen in Tahiti für den Alltag eine Verhüllung verordnet hatten. Ein großes Selbstbewusstsein strahlt in der 1924 geschriebenen Novelle Fräulein Else von Arthur Schnitzler (1862 – 1931) die Hauptperson aus: „Nackt willst Du mich sehen? Das möchte mancher. Ich bin schön, wenn ich nackt bin.“...
aus "Nackt bin ich schön" von
Dieter Ronte |