Der optische Fingerabdruck des Menschen Einem roten Faden gleich zieht sich das Porträt durch die Geschichte der bildenden Kunst, wobei das Abbild der dargestellten Person oftmals einem Idealbild folgte, einer Vorstellung von Schönheit gehorchte. Wie die griechischen Athleten tatsächlich ausgesehen haben, wissen wir nicht. Vielleicht so, wie sie die Bildhauer aus dem Stein meißelten. Das Aussehen römischer Kaiser kennen wir anhand von Skulpturen und Münzen. Dagegen sind von Jesus und Maria keine Abbildungen überliefert, ebenso wenig wie von Aposteln und Märtyrern. Ihre Porträts entstammten der Phantasie von Künstlern, die allerdings nach Modellen arbeiteten und diesen sodann eine andere Identität „unterschoben“. Erst in der Renaissance erlangte das Porträt jene Bedeutung, die wir ihm auch heute noch zugestehen: Einen Menschen zu charakterisieren, seine individuellen Eigenschaften festzuhalten. Die Einmaligkeit eines Individuums steht ab nun im Vordergrund. Der Mensch war sich seines Selbstwertgefühls bewusst geworden. Bildinhalte müssen nicht zwingend durch Allegorien oder mythische Kompositionen ausdrückt werden, vielmehr verkörpert sich in einer Persönlichkeit genügend Aussagekraft. Zugleich rückt sich der Künstler selbst in den Mittelpunkt. Bei Albrecht Dürer oder Rembrandt erlangten Selbstporträts einen zentralen Stellenwert. ...
aus dem Katalog "Der optische Fingerabdruck des Menschen" von
Dagmar Chobot |